12.07.2019

Junge Welt: » ›Antideutsche‹ versuchen, Linke zu spalten«

» ›Antideutsche‹ versuchen, Linke zu spalten« 

Staat geht gegen »Jugendwiderstand« vor. Solidaritätsgruppen rufen zu gemeinsamer Gegenwehr auf. Ein Gespräch mit Sarah Hoffmann* Interview: Oliver Rast

Sarah Hoffmann (* Name geändert) ist aktiv im Jugendwiderstand-nahen »Antirepressionskollektiv NRW«


Siehe auch Themaseite zum Jugendwiderstand (jW vom 27.3.)

In Berlin und Nordrhein-Westfalen wurden am 26. Juni neun Wohnungen von vermeintlichen Aktivisten des »Jugendwiderstands« durchsucht. Wie lauten die Vorwürfe?

Auf Betreiben der Berliner Staatsanwaltschaft wird unter anderem wegen besonders schwerem Landfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Hintergrund ist der Protest gegen den Neonaziaufmarsch für den Kriegsverbrecher Rudolf Heß im August 2018 in Berlin-Spandau. Ein weiterer Vorwurf, der der Nötigung, bezieht sich auf eine »antideutsche« Kundgebung während einer Veranstaltung mit der palästinensischen Aktivistin Manal Tamimi in Berlin-Kreuzberg im September 2018. Kundgebungsteilnehmer wurden von Veranstaltungsbesuchern abgedrängt. Das nennt sich dann »Nötigung«.


Bereits zwei Wochen vor der Razzia hatte sich der Jugendwiderstand aufgelöst. War das ein taktisches Manöver, um einer strafrechtlichen Verfolgung als Vereinigung zu entgehen?


Das weise ich entschieden zurück. Nach fast fünf Jahren antiimperialistischer und revolutionärer Jugendarbeit wurden sämtliche Strukturen des Jugendwiderstands aufgelöst. Die Gründe dafür kann man in der ausführlichen Erklärung der Organisation vom 9. Juni nachlesen.
Der Jugendwiderstand und befreundete Gruppen aus dem Bundesgebiet sehen sich seit Jahren mit schweren Vorwürfen konfrontiert: Gewalt gegen Linke, Antisemitismus, Sexismus. Steht das der Solidarisierung angesichts der aktuellen Repressionen entgegen?

Die vergangenen Tage haben das Gegenteil bewiesen. Von Landesverbänden der SDAJ bis hin zur Berliner Ortsgruppe der Roten Hilfe gab es eine breite Solidarisierung mit den Betroffenen der Razzien. Selbst Ortsgruppen der Linksjugend erklärten ihre Solidarität. Das zeigt, dass der Versuch »antideutscher« Gruppen, mithilfe demagogischer Vorwürfe wie dem des Antisemitismus die politische Linke zu spalten, nicht funktioniert hat. Im Gegenteil: Angesichts der Repression rückt die politische Widerstandsbewegung in der BRD enger zusammen.

Am vergangenen Sonnabend haben Sie eine Solidaritätskundgebung in Düsseldorf mitorganisiert. War die gut besucht, und welche Gruppen waren vertreten?

Gut 40 Leute waren dort. Das ist für uns ein Anfang. Im Vorfeld haben uns Solidaritätserklärungen von der »Kommunistischen Organisation«, der KPD, der »Revolutionären Aktion Stuttgart«, der trotzkistischen Gruppe »Revolution« sowie einiger weiterer Antifa- und Jugendverbänden erreicht. Auf der Kundgebung gab es außerdem Grußworte von der »Roten Einheit Düsseldorf«, der MLPD sowie der »Bonner Jugendbewegung«.

In Ihrem Aufruf zur Kundgebung kritisieren Sie die Outingpraxis bestimmter Gruppen und Internetforen gegenüber vermeintlichen Aktivisten des Jugendwiderstands. Gegen wen zielen Sie dabei?


Da ist in vorderster Front der »antideutsche« Blog »Friedensdemo-Watch« zu nennen. Deren Macher stellten breite Recherchen an, veröffentlichten angebliche Namen, Fotos, Wohnorte sowie Arbeitsplätze von vermeintlichen Aktivisten des Jugendwiderstands. Das ist in dieser Form ein Novum. Da kommen Leute daher, die sich selbst als »Linke« ausgeben und einfach den Job des Staates übernehmen, eine revolutionäre Gruppe ausforschen, um anschließend Repressionen gegen diese zu fordern. Bei allen Differenzen und Auseinandersetzungen, die es schon immer und zu jeder Zeit unter linken Gruppen gegeben hat: Das ist ein Tabubruch.

Wie wollen die Betroffenen politisch und juristisch gegen die strafrechtliche Verfolgung weiter vorgehen?

Hier gilt es abzuwarten. Bisher ist außer inhaltlich knapp gehaltener Durchsuchungsbeschlüsse noch nicht viel bekannt. Der politische Umgang mit möglicherweise stattfindenden Prozessen liegt allerdings nicht allein bei den Betroffenen. Die gesamte politische Widerstandsbewegung ist gefragt, Solidarität zu organisieren und Öffentlichkeit zu schaffen. Der sich immer stärker faschisierende Staat BRD schlägt heute bei vermeintlichen Aktivisten des Jugendwiderstands zu, wird sich aber schon morgen auch anderen Gruppen und Zusammenhängen zuwenden. Dessen muss sich jeder politisch Denkende bewusst sein.

 
Junge Welt, 10. Juli 2019, Seite 2